Die Lesung aus dem Roman „Herumtreiberinnen“ (Verbrecher Verlag) von Bettina Wilpert und die begleitenden Gespräche unter Moderation von Miku Sophie Kühmel überzeugten nicht nur durch ihre literarische Qualität - viel mehr waren sie eine Lehrstunde über ein vergessenes Kapitel deutscher Geschichte. Dass in der DDR Frauen, die nicht den Moralvorstellungen des Systems entsprachen, in sogenannten Veneorologischen Anstalten festgehalten wurden und erniedrigenden Untersuchungen ausgesetzt waren, ist bis heute Vielen unbekannt. Diese sogenannten „Herumtreiberinnen“ wurden als unerwünschte weibliche Körper betrachtet - sie wurden überwacht, schikaniert, kriminalisiert, interniert.
Wilpert erzählt in ihrem Roman aus dem Leben von drei jungen Frauen, die im Lepizig verschiedener Zeitepochen (NS-Zeit, DDR und Gegenwart) leben. Ihre Geschichten machen einerseits einen Wandel von Sexualmoral deutlich, und zeigen andererseits, wie die unterschiedlichen politischen Systeme die Lebensentwürfe der drei Frauen maßgeblich bestimmen.
Bettina Wilpert hat für ihren Roman akribisch recherchiert, das wird im Gespräch - und auch in ihren Textpassagen - immer wieder deutlich. Es wird vorläufig ihr letzter historischer Roman bleiben. Die richtige Sprache für die jeweilige Epoche zu finden, sei doch sehr anstrengend, wie sie lachend verrät. Die Anstrengung merkt man dem Text jedenfalls nicht an.
Wer wären wir geworden, wenn wir zu einer anderen Zeit oder in einem anderen politischen System aufgewachsen wären? Wann und wie hätten wir gegen Unrecht und Unterdrückung Widerstand geleistet? Hätten wir überhaupt? Solche Fragen drängen sich mir unweigerlich auf, als ich nach dieser gelungenen Lesung den Raum verlasse.
Kadir Özdemir, PWC
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