Anlatsam hayatım roman / Wenn ich es erzähle, ist mein Leben ein Roman. Diesen Satz habe ich oft gehört, insbesondere von Frauen der ersten Generation von Arbeitsmigrantinnen. Ihre Generation wird immer noch mit dem euphemistischen Begriff „Gastarbeiter“ belegt. Dieser Begriff macht nicht nur Frauen unsichtbar, er hat auch nie gepasst. Die Grundprämisse von Gastsein war zu keiner Zeit erfüllt.
Nach dem Anwerbeabkommen wurden junge Menschen aus der Türkei in langwierigen, herabwürdigenden seuchenhygienischen Untersuchungen ausgewählt und sie wurden dann zumeist mit der Bahn nach Deutschland geholt - Fahrten, die bis zu 72 Stunden dauerten, und im Winter fiel häufig die Heizung aus. Viele durften sich einen einzigen Tag lang ausruhen und wurden dann an ihre zukünftigen Arbeitsplätze verteilt. Diese Arbeitsplätze bestanden en gros aus Industriezweigen, die schwere körperliche Arbeit erforderten oder Asbest, Gase und Chemikalien einsetzten, die die Gesundheit der Arbeiter*innen stark belasteten. Viele der Menschen dieser Generation wurden krebskrank. Sie starben ungesehen, ohne auf die systemischen Zusammenhänge ihrer Krankheiten hinzuweisen, ohne Entschädigung, ohne Würdigung, rausgerechnet aus dem deutschen Wirtschaftswunder, rausgehalten aus offiziellen Erinnerungskulturen.
Ich bin ein Kind dieser Arbeitsmigrantinnen und sehe es als meine Aufgabe an, in die Komfortzonen des weißdeutschen Gedächtnisses hinein zu intervenieren. Ich brauche diese Geschichten auf der Bühne. Ich möchte diese Geschichten sehen. Und ich bin nicht allein. Das Stück von Banu Çiçek Saygın wurde vom Publikum mit standig ovations gefeiert. Sowohl während der Aufführung als auch danach flossen viele Tränen. In etlichen Gruppen standen die Besucherinnen noch lange beieinander und unterhielten sich über das Stück. Banu Çiçek Saygın hat diesen Pionier*innen der ersten Generation zugehört. Und tatsächlich sind ihre Leben sind ein Roman.
Im November 2022 wird das Stück in voller Länge im Pavillon Premiere feiern. Stay tuned!
Kadir Özdemir, PWH
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